Barbaren
ohne Zärtlichkeit
Andrzej Stasiuk: Tagebuch – danach geschrieben (Rezension)
von
Bernd Adamek-Schyma
erschienen (gekürzt) in Kreuzer 01/2013
Der wohl rastloseste
Reisende der polnischen Gegenwartsliteratur führt kein
Reisetagebuch. Kreuz und quer gefalzte Karten, sein Reisepass mit den
Kontrollstempeln
unzähliger Grenzübertritte oder Geldscheine aus Ländern, in denen
man mit dem Dinar
oder dem Lek bezahlt. Diese beim Schreiben zu Hause hervorgeholten
Dinge ersetzen ihm
die Aufzeichnungen unterwegs – behauptete Andrzej Stasiuk vor einigen
Jahren.
Nun erbringt er den
Beweis. Sein Tagebuch
danach geschrieben verdichtet drei Texte
zu
einer Art Reflexionsroman, zwischen Reportage, Reiseskizze und, so das
Verlagsinfo,
Rhapsodie. In den ersten beiden Teilen des Buches bereist Stasiuk den
Balkan. Ein Rausch
aus Dreck, Staub, Gestank, Kriegsnarben und Hammelblut. Mit
Spiegelbrillen, vorn spitz
zulaufenden schwarzen Herrenschuhen, Raki und Kaffee und süddeutschen
Autos mit
verdunkelten Scheiben in der bosnischen Provinz. Dichtes,
atmosphärisches Rauschen
nicht ohne bitteren Balkankolorit – die Altfans des Schiftstellers und
Montenegroreisende
dürften gleichermaßen erfreut sein.
Doch mit dieser
literarischen Wall of Sound lässt uns ein solch erfahrener und
großartiger
Autor wie Andrzej Stasiuk natürlich nicht allein. Irgendwann, kurz
bevor man es vor
Schnaps-, Schweiß- und Benzingestank nicht mehr aushält, führt uns
Stasiuk sanft auf die
eigentliche und zutiefst poetische Ebene dieses Buches. Sie versteckt
sich leise und ist
trotzdem präsent – voller Angst, Trauer, Wut, Liebe und Verzweiflung.
Im dritten Teil des
Buches kehrt Stasiuk den Straßen Serbiens und Albaniens den Rücken
– um aus dem Blickwinkel des Balkans sein Polen zu durchdringen. Hier
läuft er zu
Höchstform auf: zwischen der Wohlstandshölle Westpolens und der
zerbröckelnden
Erinnerung in den Lößtälern des einst in Ostpolen liegenden Podoliens
findet der Autor
die poetische Kraft, die an seinen großen frühen Roman Dukla
erinnern
lässt. Und mit der
er eindringlich “Geschichten erzählt, Bilder beschwört” – gegen die
Zerstörung dieser,
seiner Welt.